Das Geheimnis einer guten Wurst

Die Wurst ist ein widersprüchliches Ding. Von den einen wird sie als Nationalgericht geliebt, von den andern als Kalorienbombe gemieden. Eine Annäherung an die Wurst ermöglicht ein Wurstkurs für Anfänger. Die Herstellung ist keine Hexerei.

Etwas voll nimmt Patrick Marxer den Mund ja schon, denkt sich der Laie. Verspricht doch der Kursleiter am Sonntagmorgen um 11 Uhr, das Ziel sei, dass am Ende des Nachmittags jeder die Fähigkeit besitze, zu Hause selber zu wursten. Der gelernte Laborant Patrick Marxer, ein stattlicher Mann mit angegrautem Bart, Ohrstecker und Brille, hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Zusammen mit dem Koch Simon Schneeberger führt er im Zürcher Oberland ein kleines Unternehmen namens «Das Pure»; ihr Ziel ist, gute Lebensmittel herzustellen oder zu veredeln und in den Kundinnen und Kunden die Lust an der Qualität zu wecken.

Fleisch, Fett und Därme

So räuchern die beiden in einem früheren Industriegebäude in Wetzikon Bio-Lachs, zarte Entenbrust oder einheimisches Wildschwein – und eben, sie wursten und bringen diese Fertigkeit anderen bei. In sechs Stunden produzieren die Kursteilnehmer je vier Kilo Würste, die sie nach Hause mitnehmen und später zusammen mit Freunden verspeisen können. Los geht es mit ein bisschen Theorie, die Marxer den fünf Anwesenden – vier Männern und einer Frau – an einem grossen Holztisch sitzend vermittelt. Silvia, Stefan und Kurt kommen aus Winterthur und sind verwandt miteinander. Auf das Kursangebot stiessen sie an einer Messe. Heinz und Maurice, zwei Kollegen, sind an diesem Sonntag aus der Stadt Zürich ins Oberland gereist; Maurice hat den Wurstkurs zum Geburtstag geschenkt bekommen. Alle fünf Kursteilnehmer sind weit davon entfernt, Vegetarier zu sein. Sie sind bekennende Wurstliebhaber und wüssten nun gerne, was genau in einer guten Wurst steckt.

Bevor es weitergeht, erklärt ihnen Marxer aber noch, welche Ausrüstung sie zum Wursten brauchen: scharfe Messer und Wetzstahl zum Beispiel, einen kleinen Fleischwolf, eine Wurstspritze, Mischgefässe, Schneidebretter und Küchenschnur. Das Fleisch und das Fett – darauf legt der Kursleiter grössten Wert – müssen von einwandfreier Qualität sein. Durch die Beigabe von Fett erhält das Fleisch eine sämige Konsistenz, so dass die Wurst nicht auseinanderbröselt, wenn man sie anschneidet. Zusammengehalten werden die Würste aber letztlich durch die Haut aus Därmen vom Schaf, Schwein, Rind oder Pferd. Die Därme sind industriell gereinigt und eingesalzen. Marxer rät den Teilnehmern, einen Metzger ihres Vertrauens danach zu fragen und dort auch das Fleisch zu bestellen. Wichtig sei vor allem das «Kaliber» der Därme; je grösser das «Kaliber», desto dicker wird die Wurst.

Dann geht es ans Eingemachte. Programmpunkt Nummer eins sind Schweinsbratwürste, die mit Salz, geschrotetem Pfeffer, gemahlener Muskatnuss und Majoran gewürzt werden. Die Gewürze werden eins ums andere fein säuberlich abgewogen und mit einem Ei und etwas Milch vermischt. Dann tritt die Gruppe in den sogenannten Hygieneraum, wo Marxer vorzeigt, wie man richtig die Hände wäscht, zuerst mit Seife und dann mit Desinfektionsmittel. Alle Kursteilnehmer bekommen eine weisse Schürze aus Plastic umgebunden, auch Latexhandschuhe stehen zur Verfügung.

Eine glitschige Sache

Zu zweit geht es ans Werk beziehungsweise an den Fleischwolf, wo oben grosse Fleisch- und Fettstücke hineingepresst werden, die unten als Hackfleisch wieder herauskommen. In grossen Kunststoffbehältern wird das Fleisch nun mit den Gewürzen vermischt. «Ihr müsst kneten, als wäre es ein Brotteig», weist Marxer die Neulinge an, die sich ins Zeug legen, um dann das rohe Fleisch zu kosten. «Stimmt der Salzgehalt?», will Marxer wissen. «Stimmt die Würze?»

Es folgt eine glitschige Angelegenheit. Der gesäuberte Darm, der in Wasser eingelegt ist, muss wie ein dünner Gummischlauch um das Rohr der Wurstspritze gelegt werden. Dann hält man das Ende mit den Fingern der einen Hand zu, während man mit der anderen die Spritze bedient und die Fleischmischung herauspresst. Die einzelnen Würste werden entweder mit einem Stück Schnur oder durch Drehen des Darms abgebunden. Je mehr Würste entstehen, desto leichter geht das Pressen von der Hand. Hin und wieder platzt ein Darm auf, und die Mischung quillt unschön auf der Seite heraus, doch bald schon hat sich ein stattlicher Berg von Würsten angesammelt.

Selber wursten ist im Trend

Nach der Herstellung der Bratwürste und einer Pause produzieren die Teilnehmer weitere Sorten, darunter Buureschüblig und Salametti. Die Bratwürste nehmen sie am Kursabend direkt mit heim. Buureschüblig und Salametti werden von Patrick Marxer und Simon Schneeberger zuerst noch geräuchert, beziehungsweise sie reifen im Keller, bis sie geniessbar sind. Ein paar Wochen später werden die Kursteilnehmer mit der Post ein Päckchen erhalten, in dem sie ihre Produktion vorfinden. Die Kosten für den Kurs und das Material belaufen sich auf 340 Franken.

«Das Pure», das Unternehmen in Wetzikon, ist nicht der einzige Anbieter von Wurstkursen in der Schweiz. In Bünzen im Kanton Aargau etwa führt die Brau- und Rauchshop GmbH ähnliche Veranstaltungen durch. Ein Kurs dauert dort rund drei Stunden und kosten 100 Franken. Das «Do-it-yourself-Wursten» entspricht offenbar einem Bedürfnis; Lebensmittelskandale mit Gammelfleisch und Falschdeklarationen haben dazu beigetragen. Die Teilnehmer des Kurses in Wetzikon sind sich am Ende einig: Sie haben sich das Wursten um einiges komplizierter vorgestellt. Viel mehr als Fleisch, Gewürze und etwas Fingerfertigkeit braucht es dazu nicht.

Rebekka Haefeli, NZZ, Artikel